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Prof. Dr. Lahmann: Spätestens seit Anfang der 2000er Jahre besteht eine erhebliche und wiederkehrende Tendenz in vielen Kommunen, die Leistungserbringung im Bereich der Daseinsvorsorge zu rekommunalisieren. Die Motive sind hierbei vielschichtig und haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Zahlreiche Aspekte der Entscheidungsfindung, die insbesondere für eine Kommune relevant sein sollten, bleiben jedoch oft unberücksichtigt. An der Handelshochschule Leipzig haben wir uns an meiner Professur das Ziel gesetzt, bisher im Entscheidungsprozess vernachlässigte oder fehlgewichtete Faktoren zu identifizieren und ihre Wirkungsweise offenzulegen.
Prof. Dr. Alexander Lahmann
Prof. Dr. Lahmann: Die Entscheidung, ob die Leistungserbringung öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich erfolgen soll, beispielsweise auch in der Zwischenform Öffentlich-Private Partnerschaft, ist von vielen Faktoren abhängig, die sich je nach Fall auch unterscheiden. Neben vielen weiteren Faktoren spielen politische und soziale sowie natürlich rein wirtschaftliche eine maßgebliche Rolle.
Die privatwirtschaftliche Leistungserbringung, auch im Rahmen einer ÖPP, unterliegt der Gewinnerzielungsabsicht. Dies führt in der Praxis zu einer Effizienzsteigerung. Ferner ergibt sich durch Steuerleistungen und – im Falle einer ÖPP – Gewinnbeteiligungen ein Beitrag für kommunale Haushalte. Bei öffentlich-rechtlicher Leistungserbringung ist eine ausdrückliche Gewinnerzielungsabsicht sogar gesetzlich untersagt, defizitäre Unternehmungen müssen zudem finanziell gestützt werden. Dies spielt eine erhebliche Rolle, falls in Sonderfällen, insbesondere bei Vorliegen einer Unwirtschaftlichkeit, kein privatwirtschaftliches Unternehmen zur Verfügung steht.
Zunehmend spielen auch politische Aspekte der Kontrollausübung und Qualitätssicherung ebenso wie der soziale Aspekt der Beschäftigungssituation eine Rolle. Diese lassen sich aber auch privatwirtschaftlich je nach Vertragsgestaltung und bei einer ÖPP sicherstellen. Somit sollte bei einer Entscheidungsfindung die Frage der Wirtschaftlichkeit zuoberst angesiedelt sein. Jedoch dürfen auch politische und soziale Aspekte nicht außer Acht gelassen werden, da deren Bedeutung zunimmt. Schlussendlich muss eine gefundene Lösung immer dem Bürger „vermittelbar“ sein.
Prof. Dr. Lahmann: Nein, steuerliche Zahlungsströme bleiben oft unberücksichtigt oder untergewichtet. Bei zahlreichen (Re-)Kommunalisierungsvorhaben wurde eine Diskussion zu Vor- und Nachteilen der Besteuerung aufgrund der Komplexität nicht geführt. Häufig wird irrtümlicherweise sogar von sogenannten systembedingten steuerlichen Nachteilen von ÖPP gesprochen, da die Perspektive auf die Gewinnbeteiligung beschränkt wird.
Die privatwirtschaftliche Leistungserbringung unterliegt der Besteuerung durch Umsatz-, Körperschafts- und Gewerbesteuer. Auf den ersten Blick fließt der Großteil der Gewerbesteuer und ein geringer Anteil der Umsatzsteuer an die Kommune. Der Großteil der Umsatzsteuer verbleibt zunächst bei Bund und Ländern, die sich auch die Körperschaftssteuer teilen. Berücksichtigt man aber das komplexe System der Finanzausgleichsmechanismen in Deutschland, kommen dennoch erhebliche Teile der geleisteten Umsatz- und Körperschaftssteuer der Kommune zugute. Die genaue Verteilung hängt zwar vom Einzelfall ab, aber man kann festhalten, dass Kommunen bei öffentlich-rechtlicher Leistungserbringung auf Steuereinnahmen – direkt oder indirekt – verzichten müssen. Dabei liegen die tatsächlichen Mindereinnahmen der Kommune weitaus höher als angenommen, da bei dem offiziellen Verteilungsschema nur die erste von fünf Stufen des (Um-)Verteilungssystems miteinbezogen wird. Dies zeigte eine vom Lehrstuhl angestrebte vollumfängliche Aufbereitung der Steuerverteilung.
Prof. Dr. Lahmann: Auf Basis der von uns durchgeführten Analysen sprechen zahlreiche Gründe für eine Öffentlich-Private Partnerschaft. Die Zusammenarbeit von Kommune und privatem Unternehmen führt die Vorteile beider Seiten zusammen und vermeidet zugleich jeweilige Schwächen. Auf der einen Seite stehen das Effizienzbestreben und die Gewinnorientierung eines privatwirtschaftlich organisierten Unternehmens sowie die damit einhergehenden potenziellen Ausschüttungen bei erwirtschafteten Gewinnen und die Steuerleistungen. Auf der anderen Seite hat die Kommune weiterhin die Möglichkeit, die „Kontrolle“ bei üblicher Mehrheitsbeteiligung zu wahren. Hierdurch ist sie in der Lage, ihre Kompetenzen und Sichtweisen in Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen und flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren.
Prof. Dr. Lahmann: Für die Kommune und den Bürger ergeben sich hierdurch Vorteile in mehrerlei Hinsicht. Durch die gesteigerten Einnahmen ist die Kommune in der Lage, notwendige Investitionen zu leisten. Hierüber können auch andere kommunale Leistungen und Einrichtungen bewahrt, erweitert oder überhaupt erst eingerichtet werden.
Ferner ergibt sich so die Möglichkeit, aus einer unter Umständen defizitären zuschussbedürftigen Unternehmung in der Daseinsvorsorge ein profitables Unternehmen zu formen, welches auch interkommunal eine Ver- und Entsorgung kostengünstig sowie unkompliziert abbilden kann.
Prof. Dr. Lahmann: Solch eine Entscheidung sollte immer fallabhängig und nach Einbezug aller Faktoren getroffen werden. Möglichst umfassend sollten dabei die Effekte auf den kommunalen Haushalt berechnet und in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden.
Es sollte grundsätzlich ohne ideologische Einfärbung stets die wirtschaftliche Betrachtung in den Vordergrund gestellt werden, um das beste Ergebnis bei Gebührenniveau und Qualität für den Bürger sowie für den Kommunalhaushalt zu erreichen. Der politischen sowie sozialen Komponente kann dabei idealerweise über die Vertragsgestaltung und hinsichtlich der Kontrolle insbesondere durch die kommunale Mehrheitsbeteiligung bei einer ÖPP Rechnung getragen werden.