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Das moderne Leben ist ressourcenintensiv. Wir nutzen, was die Erde bereitstellt, und blenden gerne aus, dass die Vorräte unseres Planeten endlich sind. Der verschwenderische Umgang mit Ressourcen geht zulasten nachfolgender Generationen. Höchste Zeit also für eine langfristige Ressourcenstrategie, die zukunftsweisende Kreislaufwirtschaft mit neuem Denken jedes Einzelnen kombiniert.
Die meisten Menschen haben den Überblick über ihre „Siebensachen“ verloren. Sie wissen nicht, was sich in ihren Kisten, Schubladen und Kellerregalen alles befindet. Das Wirtschaftsmagazin „brand eins“ wollte es herausfinden – und hat mit einer Architektin beispielhaft eine private „Inventur“ durchgeführt. Das Ergebnis: Sie besaß 3.506 Dinge. Lediglich 26 Prozent davon gebrauchte sie regelmäßig, 47 Prozent gar nie. Was damit zum Ausdruck kommen soll: Wenn wir über Rohstoffe, Rohstoffverfügbarkeit und -verknappung sprechen, wenn wir uns Gedanken über Recycling und das Ziel einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft machen, sprechen wir immer auch über unseren Lebensstil. Moderne Warenwirtschaft und moderner Lebensstil basieren auf einem schnellen stofflichen Durchlauf – von (Roh-)Stoffen über Produkte zu Abfällen. Zwar gibt es, insbesondere in Deutschland, beachtliche Erfolge hinsichtlich der Mülltrennung oder beim Recycling. Im Bereich Kreislaufwirtschaft und Nutzung von Sekundärrohstoffen stehen wir jedoch noch am Anfang des Notwendigen sowie des Möglichen.
Auf dem Weg zu einer geschlossenen und zukunftsfähigen Kreislaufwirtschaft zählen neben technischen und institutionellen Veränderungen auch solche, die im Kopf jedes Einzelnen beginnen. Das Wissen um all die Stoffe, die den eigenen Lebensstil prägen, sowie um die Geschichte dieser Stoffe ist essentiell. Der Lehrstuhl für Ressourcenstrategie hat dafür das Konzept der „Stoffgeschichten“ entwickelt, die das Alltagshandeln mit den raumzeitlichen Dimensionen der Wertschöpfungsketten und deren Auswirkungen in der Bio-, Geo- und Technosphäre verbinden.
Die Idee eines ressourcenintensiven Wachstums ohne Grenzen widerspricht den energetisch-stofflichen Bedingungen unseres Planeten.
Mit Beginn der Industrialisierung wurden die Weichen in Richtung Massenproduktion und Massenkonsum gestellt; heute verfügen wir über eine noch nie da gewesene Fülle an Konsumgütern, die jederzeit verfügbar sind und für uns aus aller Herren Länder zusammengetragen wurden. Waren früher Kolonialwaren wie Kaffee, Zucker oder Tabak Luxusgüter und Distinktionsmittel, kann sich im westlichen Kulturkreis inzwischen nahezu jeder alle zwei Jahre ein neues Handy, einen neuen Fernseher oder ein anderes elektronisches Gerät leisten. Auf der Kehrseite dieses Fahrstuhleffekts im „Palast der Lebensstile“ fallen pro Kopf und Jahr – einhergehend mit einer zunehmenden Verschuldung der Privathaushalte – zwischen 3 und 7 Kilo Elektroschrott an. Alte Handys beispielsweise bleiben nicht nur in Schubladen liegen, sondern landen oftmals im Müll. Auch wenn pro Gerät nur geringste Mengen wertvoller Metalle verbaut werden, ist deren Diversität groß: Mehr als 40 Metalle befinden sich in einem Handy – von Basismetallen wie Zinn und Kupfer bis hin zu Gold, Silber und Palladium.
Ein Umdenken im Umgang mit Ressourcen ist von größter gesellschaftlicher, ökonomischer und ökologischer Bedeutung.
Die hohe Warenmobilität und der steigende Bedarf der Energiewende-Technologien an seltenen Metallen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer bis 2050 auf 9 Milliarden anwachsenden Weltbevölkerung – erfordern langfristige Ressourcenstrategien auf der Basis von Kritikalitätsbewertungen. Die Entwicklung geeigneter Konzepte zur Beurteilung der Kritikalität von Rohstoffen in Abhängigkeit von akteurs-, technologie- und funktionsspezifischen Bedürfnissen und Risiken nehmen folglich eine wichtige Rolle ein, sowohl in der Forschung als auch in der von Ressourcen abhängigen Gesellschaft.
Wir wissen: Deutschland ist nicht reich an Metallen. Ebenso wissen wir um die oftmals schädlichen ökologischen Folgeerscheinungen, die immensen Energiekosten und das soziale Konfliktpotenzial beim Erzabbau. Nicht alle Rohstoffe verfügen über eine für künftige Bedarfe ausreichende Reichweite, noch sind alle Rohstoffe substituierbar. Zudem weisen wichtige Funktionsmaterialien – wie die sogenannten Gewürzmetalle – ein hohes Dissipationsrisiko auf: Indium, Germanium oder Neodym werden zum Teil so hauchdünn auf andere Stoffe aufgedampft, dass sie in der Nachnutzungsphase nicht wiedergewonnen werden können.
Das Ziel muss sein, gegenwärtige und zukünftige Ressourcenverfügbarkeit zu gewährleisten.
Das Ziel muss sein, gegenwärtige und zukünftige Ressourcenverfügbarkeit durch Ressourcenschonung und Effizienzsteigerung unter der Maßgabe von Verteilungs- und Generationengerechtigkeit zu gewährleisten. Dass dieser Prozess auf der diskursiven Ebene bereits eingesetzt hat, kann man seit Jahren an der regen medialen Berichterstattung ablesen. Ein Paradigmenwechsel ist jedoch nicht nur in Bezug auf den Umgang mit metallischen, sondern Ressourcen aller Art erforderlich.
Der vom Global Footprint Network erstellte ökologische Fußabdruck führt uns vor Augen, dass wir auf Pump leben, mehr verbrauchen als nachwachsen, sich regenerieren kann. Lösungswege liegen in einem nachhaltigen Wachstum und einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft. Die kulturelle (Wieder-)Aneignung natürlicher Kreislaufprozesse ist somit die größte Herausforderung der hochtechnisierten Moderne. Das Ziel ist es, konsumtive und technische Prozesse und Produkte so zu gestalten, dass die eingesetzten Stoffe rückholbar sind; bereits bestehende Rückholsysteme müssen im Hinblick auf ökonomische und ökologische Verantwortlichkeit und Machbarkeit verbessert werden. Nur so kann verhindert werden, dass die zahlreichen Elemente des Periodensystems, die wir mobilisiert haben, durch dissipative Prozesse und kurzfristiges Denken unwiderruflich verloren gehen.
Prof. Dr. Armin Reller
Inhaber des Lehrstuhls für Ressourcenstrategie der Universität Augsburg und Vorstandssprecher des Wissenschaftszentrums Umwelt
Joshena Dießenbacher
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin im Graduiertenkolleg „Ressourcenstrategische Konzepte für zukünftige Energiesysteme“